23.682 Medical Apps-Was sagt die Forschung?

Medical Apps und Health Apps sind in aller Munde. 2013 gab es einer Studie von Aitken und Gauntlett zufolge, bereits 23.682 rein gesundheitsbezogene Apps. Davon richteten sich 16. 276 an Patienten und 7.407 an medizinisches Fachpersonal. Mittlerweile beteiligen sich auch Universitäten und Universitätskliniken an der Entwicklung von derartigen Apps und nutzen Sie aktiv. Auch an der Forschung geht dieses Thema nicht vorbei. Gehring und Kollegen (2014) haben sich mit diesem neuen Trend näher auseinandergesetzt. Ihre Ergebnisse sowie weitere interessante Studienergebnisse möchte ich Ihnen hier vorstellen.

Healt Apps und Medical Apps- Wo ist der Unterschied?

Gehring und Kollegen haben sich intensiv mit der Definition „Medical App“ auseinandergesetzt sowie mit der Bedeutung, die diese zur Folge hat.

Nach Gehring und Kollegen werden die Begriffe Health App und Medical App häufig synonym verwendet, obwohl sie durchaus unterschiedliche Bedeutung haben: Der Begriff „Health App“ ist ein übergeordneter Begriff für mobile Anwendungen, die das körperliche, seelische und soziale Wohlbefinden positiv und nachhaltig auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse beeinflussen sollen.

Auch Apps die bei der Entspannung (Wellness) unterstützen, können in diese Gruppe gezählt werden. Ebenso Apps, die ein körperliches Training (Fitness) vorgeben oder begleiten. Darüber hinaus können in die übergeordnete Gruppe der „Health Apps“ auch Applicationen gezählt werden, die ihren Auftrag in der Vorbeugung, Erkennung und Behandlung von Krankheiten und Verletzungen haben. Diese bilden aber gleichzeitig auch die Untergruppe „Medical Apps“ (Apps mit medizinischem Auftrag), da hier der diagnostische und therapeutische Aspekt hervorgehoben wird.

Eine Unterscheidung beider Begriffe macht aus einem weiteren Grund Sinn: ihrer rechtlichen Bedeutung. So zählen medizinische Apps zu den Medizinprodukten und unterliegen somit staatlichen Regulierungen. Die Einordnung einer App zu einer medizinischen App ist aber nicht immer so einfach. Aus diesem Grund hat die EU-Kommission einen entsprechenden Leitfaden, den MEDDEV, erstellt, der bei der korrekten Einschätzung helfen soll. Nach den Leitfaden ist eine App dann ein Medizinprodukt, wenn die Software medizinisches Wissen und individuelle Patientendaten zusammenführt und auf die Art bei der Diagnose, der Prognose und der Behandlung hilft. Kein Medizinprodukt stellt eine App dar, die ein reines Informationssystem ist, die dazu eingesetzt wird, Daten zu archivieren oder zu transferieren oder ein reines Krankenhausinformationssystem darstellt. In Deutschland dürfen (bis auf wenige Ausnahmen) „Medical Apps“, nur in Verkehr gebracht
oder in Betrieb genommen werden, wenn sie eine CE-Kennzeichnung aufweisen.

In den USA werden Medizinprodukte durch die Food and Drug Administration (FDA) zugelassen. Der Ansatz der FDA unterscheidet sich von dem Deutschen. So müssen „Mobile Medical Apps“, die nur ein geringes Risiko für den Nutzer bedeuten, auch nicht die sonst erforderlichen regulatorischen Verfahren durchlaufen.

Dieser Ansatz trägt zum einen dem rapiden Wachstum an neuen Apps Rechnung, die nicht alle von der FDA überprüft werden können und soll anderseits eine Innovationshemmung durch Regulation vermieden werden, bei gleichzeitiger Gewährleistung des Verbraucherschutzes. Der Ansatz wirkt sich jedoch auf die Qualität und Qualitätssicherung medizinscher Apps aus. Nach Albrecht (2013) sind von den weit mehr als 10.000 in den USA verfügbaren medizinischen Apps etwas über 100 von der FDA als medizinisches Softwareprodukt zugelassen.

Mögliche Limitationen und Risiken medizinischer Apps

Bislang gibt es nur wenige Studien zur Qualität, Sicherheit und Leistungsfähigkeit medizinischer Apps. Und die Ergebnisse dieser Studien weisen auf den gravierende Qualitätsunterschiede medizinischer Apps hin, die mitunter eine Gefährdung für Patienten darstellen könnten. Die Autoren nennen folgende Limitationen und Risiken, die medizinischen Apps aufweisen können:

  • Fehlerhafte Deklaration der App
  • Mangelhafter Datenschutz
  • Unzureichende Datensicherheit
  • Nicht ausgewiesenes Qualitätsmanagement
  • Fehlendes Risikomanagement
  • Unzureichender Nachweis fachlicher Qualifikation
  • Fehlerübertragung
  • Veralteter Stand der Informationen
  • Einbindung von Werbung
  • Kompromittieren der Patientensicherheit
  • Schädigung von Patienten

Und wie ist da mit der Haftung?

Hierzu weisen Gehring und Kollegen zunächst auf den Aspekt des einfachen Zugangs zu Apps hin. Grundsätzlich sind Apss über entsprechende App-Stores direkt auf den mobilen Endgeräten oder über das Internet erhältlich. Den Autoren zufolge können sowohl die Gestaltung, das Inverkehrbringen sowie auch die Anwendung rechtliche Probleme in den Bereichen Haftungsrecht, Wettbewerbsrecht und Medizinprodukrerecht nach sich ziehen.

Dabei ist entscheidend, was die App leisten soll, für welchen Zweck der Hersteller sie bestimmt und der Anwender sie einsetzt. Das ist bei Apps, die den medizinpruduktrechtlichen Regularien unterliegen und ein „Zulassungsverfahren“ durchlaufen haben, einfach. Bei allen anderen ist dies schwieriger.

Was Sie laut Autoren wissen sollten: Wenn Sie als Arzt im Rahmen der Behandlung eine App einsetzen, tragen Sie auch die Verantwortung gegenüber dem Patienten. Ausgangspunkt der ärztlichen Haftung ist der Behandlungsvertrag nach § 630 a BGB. Hiernach schuldet der Behandelnde dem Patienten eine Behandlung, die grundsätzlich gemäß den zum Zeitpunkt der Leistungserbringung bestehenden, allgemein anerkannten fachlichen Standards zu erfolgen hat. Bezüglich der ärztlichen Haftung ist also die regulatorische Einordnung entscheidend.

Medical Apss und Datenschutz

Ein weiteres Problem könnte der Datenschutz darstellen, da die Regelung bei der Anwendung von „Medical Apps“ durch Gesundheitseinrichtungen (Arzt/Krankenhaus) den besonderen Anforderungen nach § 28 Abs. 7 BDSG unterliegt. Hier ist wichtig, wo die Daten erhoben und verwendet werden: Wenn ein App-Anbieter in Deutschland Daten erhebt und verwendet, sind grundsätzlich das deutsche Datenschutzrecht und die Spezialvorschriften des Telekommunikationsgesetzes und des Telemediengesetzes anwendbar.

Wenn ausländische Unternehmen die App Anbieter sind, werden die Daten auch außerhalb von Deutschland gespeichert. Dann ist es in der Praxis schwierig, deutsches Datenschutzrecht gegenüber ausländischen App-Anbietern durchzusetzen. Nach dem Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) dürfen personenbezogene Daten nur dann erhoben, verarbeitet oder gespeichert werden, wenn eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage oder eine Einwilligung gem. § 4 Abs. 1 BDSG vom Betroffenen vorliegt. Bei medizinischen Apps sind zwei Konstellationen möglich:

  1. Ihr Patient setzt die App ein
  2. Sie als Heilberulfer setzen die App ein

1. Wenn Ihr Patient die App nutzt, muss im Falle von Gesundheitsdaten eine ausdrückliche Einwilligung des Betroffenen vorliegen (Paragraf 4 a Abs. 1,3 BDSG). Das bedeutet, der Einwilligende muss über den Zweck der Datenverarbeitung informiert worden sein, die Abgabe muss freiwillig erfolgen, und die Einwilligung muss sich ausdrücklich auf die Gesundheitsdaten beziehen.

2. Wenn Sie als Arzt eine Medizin-App für die medizinische Behandlung eines Patienten nutzen, gilt das deutsche Datenschutzrecht für die Speicherung und die Erhebung der Patientendaten. Bei der Speicherung von Patientendaten bei einem App-Anbieter, liegt immer eine Übermittlung zwischen dem Arzt und dem App-Anbieter vor. Diese Übermittlung bedarf einer gesetzlichen Grundlage (beispielsweise Paragraf 28 Abs.6-8 BDSG) oder einer Einwilligung des Patienten [1].

Was Sie laut Autoren wissen sollten: Setzen Sie als Arzt eine App ein, die keine CE-Kennzeichung hat, liegt die Verantwortung für die Richtigkeit der Ergebnisse aus der App bei Ihnen- und die Haftung.

In einem Artikel des deutschen Ärzteblattes (2015) ist die Erläuterung des Juristen Volker Lücker hierzu folgende: Eine App ohne CE-Kennzeichnung hat, wenn sie in der Klinik oder vom Arzt eingesetzt wird, juristisch gesehen den gleichen Stellenwert, wie ein vom Arzt selbstverfasstes Programm auf dem Taschenrechner oder selbstgefertigte Tabellen von Medikamentenunverträglichkeiten, also wie eine Eigenerstellung. Abgesehen vom Bundesdatenschutzgesetz müssen Ärzte auch die Vorschrift des Paragraf 203 Absatz 1 Nr. 1 StGB (ärztliche Schweigepflicht) beachten. Ärzte können demnach Patientendaten nicht an Dritte, wie etwa dem App-Anbieter, weitergegeben.

Ein Versuch, dieses spezielle Problem zu lösen liegt in der Anwendung des Paragraf 11 BDSG, wonach in diesem Fall eine Auftragsdatenverarbeitung privilegiert werde. Zudem können Auftragsdatenverarbeiter (wie etwa Apps) als berufsmäßige Gehilfen des Arztes im Sinne des Paragraf 203 Abs.3 S.2 StGB angesehen werden. In dem Fall fällt unter bestimmten – unterschiedlich gefassten – Voraussetzungen die Datenweitergabe an Dienstleiter nicht unter den Tatbestand des Paragraf 203 StGB.

Anonymisierte Daten

Auch der Austausch anonymisierter Daten stellt eine mögliche Lösung dar. Eine abschließende Klärung steht noch aus und hängt unter anderem von der eingesetzten App ab. Entscheidend ist, dass Sie sich als Arzt genau über die datenschutzrechtlichen Anforderungen der jeweiligen App informieren, um möglichen datenschutzrechtlichen „Lücken“ der App auszuschließen. Besonders vorsichtig und sorgsam sollten Sie bei einer Datenspeicherung im Ausland vorgehen [1].

Der Datenschützer Christian Volkmer empfiehlt zudem in einem Bericht im IDOWA (09.2020) genau zu prüfen, wer der App-Anbieter ist, und woher er kommt, da sich in Europa Unternehmen an die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) halten müssen. Dennoch sei dies kein 100%iger Schutz. Weiter sollten Ärzte die Datenschutzerklärung lesen, die über die Datenverarbeitung aufklärt. Mehr dazu unter: https://www.idowa.de/inhalt.gesundheits-apps-experten-erklaeren-risiken-bei-datenschutz-und-haftung.8364c8ab-03a1-4c49-b720-902455887f90.html

Der Fachanwalt für Medizinrecht Dr. Marcel Vachek weißt in einem Bericht im IDOWA (09.2020) zudem darauf hin, dass es die Aufgabe des Arztes ist, den Patienten genau zu instruieren, sollte dieser die Nutzung einer solchen App empfehlen. Grund hierfür sei, dass üblicherweise der Arzt verpflichtet ist, notwendige Befunde selbst zu erheben oder dies an geschultes Fachpersonal zu delegiere. Wenn nun eine dieser Aufgaben per App vom Arzt an den Patienten übertragen wird, muss der Patient sehr genau instruiert werden, damit beispielsweise falsche Messungen vermieden werden oder der Patient weiß, wann er den Arzt über pathologische Ergebnisse informieren muss, falls dies nicht digital automatisch erfolgt. Der Arzt könnte haften, wenn er seinem Patienten die App nicht genau erklärt oder ihn nicht auf mögliche Ungenauigkeiten hinweist. Mehr dazu unter: https://www.idowa.de/inhalt.gesundheits-apps-experten-erklaeren-risiken-bei-datenschutz-und-haftung-page1.8364c8ab-03a1-4c49-b720-902455887f90.html

Erfolgreicher Einsatz von Apps?

Von sinnvollen App Einsätzen berichtet Kramer (2014) u. a. in der Kinderonkologie. So zeigten Untersuchungen, dass Apps sowohl das Krankheitsverständnis verbessern als auch die Selbstwirksamkeitserwartung in Bezug auf die Bewältigung einer Krankheit positiv unterstützen können. Dabei verpacken die Apps als sogenannte „Serious Games“ Wissensvermittlung und Ressourcenstärkung in Form von Spielen. So kann die Aufmerksamkeit der Kinder dauerhaft gebunden werden, wie beispielsweise im Computerspiel „Re-Mission“ oder „PainSquad“.

Als weiteres Beispiel stellt die „Caterna-App“ dar, ein Sehtraining für schielende Kinder. Diese App wurde von einer Ausgründung der Technischen Universität Dresden entwickelt und ist der klassischen Behandlungsmethode sogar überlegen: So konnte das Videotraining im Vergleich zur Okklusion mit einem Augenpflaster die Behandlung von durchschnittlich zwei Jahre auf wenige Monate verkürtzt werden. In ersten Pilotprojekten erstattet und evaluiert die BarmerGEK die Anwendung.

Trotz erster Erfolge, gibt es auch viel Kritik. So fordert beispielsweise die Stv. DPtV-Bundesvorsitzende Dr. Anke Pielsticker auf der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), dass für Gesundheits-Apps dieselben Nachweise von Wirksamkeit gelten müssen wie für Psychotherapie-Verfahren. Siehe hierzu auch: https://www.deutschepsychotherapeutenvereinigung.de/index.php?eID=dumpFile&t=f&f=11460&token=228436cef7a463797ca64e3bdbb6723efa4af800

Bewertungsportal für Health-Apps

In Deutschland ist HealthOn die größte Info- & Bewertungsplattform für Health-Apps. Hier können App-Anbieter ihre Apps testen lassen. Aber auch Anwender können Apps testen oder die Testberichte aller bislang getesteten Apps einsehen.

Literaturverzeichnis:

Aitken, M., & Gauntlett, C. (2013). Patient apps for improved healthcare: from novelty to mainstream. Parsippany, NJ: IMS Institute for Healthcare Informatics.

Albrecht, U.V. (2013). Kommentar: Sichere Medical Apps: Transparenz durch Beipackzettel. Dtsch Arztebl 110(44),A-2068/B-1826/C-1786.

Ärzteblatt.de (Hrsg.) (2015). Viele medizinische Apps sind ungeprüft. http://m.aerzteblatt.de/news/62281.htm Zugrgriffen am: 21.04.2017.

Gehring, H., Pramann, O., Imhoff, M., & Albrecht, U. V. (2014). Zukunftstrend „Medical Apps “. Bundesgesundheitsblatt-Gesundheitsforschung-Gesundheitsschutz, 57(12), 1402-1410.

Kramer, U. (2014). Da gibt’s doch auch’ne App?. JuKiP-Ihr Fachmagazin für Gesundheits-und Kinderkrankenpflege, 3(06), 280-283.

Weitere interessante Artikel:

[1] Schürmann K (2013). Medical Apps 2013, Präsentation. Stellen Gesundheits- und Medizin Apps ein Sicherheitsrisiko dar?

https://tinyurl.com/ydx2dnl7 (Stand: 29.09.2017)

Alle Angaben ohne Gewähr. Stand 05/2017, Update 09/2020